Der Begriff Phytoestrogene ist eine Zusammensetzung aus dem griechischen Wort „phyto” für „Pflanze” und „estrogen” für „Östrogen”. Östrogen ist ein wichtiges Hormon, das im weiblichen Körper für die Regulierung des Menstruationszyklus und die Steuerung der Empfängnis verantwortlich ist. In geringen Mengen wird es aber auch im männlichen Körper gebildet. Dort spielt es eine Rolle im Knochen- und Fettstoffwechsel, bei der Gesundheit von Prostata und Gefässen sowie bei der Fruchtbarkeit. Phytoöstrogene sind eine vielfältige Gruppe von Pflanzenstoffen, die in ihrer chemischen Struktur dem Sexualhormon 17-beta-Östradiol ähneln, das als besonders wirksamer Vertreter der körpereigenen Östrogene gilt.
Phytoöstrogene erfüllen in der Pflanze eine Vielzahl von Funktionen, indem sie als Abwehrstoffe gegen Krankheitserreger wirken und für die Entwicklung der Pflanze von entscheidender Bedeutung sind. Für die Kommunikation zwischen Pflanzen und nützlichen Mikroorganismen sowie für den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Pflanzen sind sie wichtige Signalstoffe. Der Gehalt an Phytoöstrogenen in Pflanzen steigt unter ungünstigen Bedingungen an. Dies kann z.B. durch widrige Wachstumsbedingungen wie starke Trockenheit oder Kälte, durch Schädlingsbefall oder durch Beschädigungen der Pflanze verursacht sein.
Phytoöstrogene werden in zwei Hauptgruppen eingeteilt: Flavonoide (wie Isoflavone, Coumestane, Prenylflavonoide) und Nicht-Flavonoide (wie Lignane und Resveratrol). Besonders die Isoflavone, die vor allem in Soja und Sojaprodukten enthalten sind, werden intensiv erforscht. Der Gehalt an Phytoöstrogenen in Pflanzen kann durch Umweltfaktoren wie Trockenheit, Kälte oder Schädlingsbefall beeinflusst werden.
Es ist möglich, dass zwei Menschen, welche exakt die gleiche Menge an Phytoöstrogenen zu sich nehmen, trotzdem unterschiedliche Mengen an aktiven Stoffwechselprodukten dieser Pflanzenstoffe im Blut haben. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Darmflora, welche die Phytoöstrogene in für den Menschen besser verdauliche Substanzen, so genannte Metaboliten, umwandelt. So können sich bei regelmässigem Verzehr isoflavonreicher Lebensmittel Bakterien im Darm vermehren, die in der Lage sind, diese Pflanzenstoffe abzubauen – vorausgesetzt, diese Bakterienarten sind überhaupt im Darm vorhanden.
Phytoöstrogene können sich an körpereigene Östrogenrezeptoren binden. Diese Rezeptoren befinden sich beispielsweise in den Geschlechtsorganen, im Knochengewebe und im Zytoplasma bestimmter Zellen. Der Vorgang folgt dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, bei dem die Östrogene bzw. Phytoöstrogene zunächst die Zellmembran durchdringen und sich dann im Zytoplasma an den Östrogenrezeptor binden.
Nach dieser Bindung können Phytoöstrogene Östrogenrezeptoren entweder hemmen (antiöstrogene Wirkung) oder aktivieren (östrogene Wirkung). Durch diesen Mechanismus haben die Pflanzenstoffe einen Einfluss auf die biologischen Signale im Körper, die durch Östrogene beeinflusst werden. Die Wirkung, die von der Bindung der Phytoöstrogene an die Östrogenrezeptoren ausgeht, wird unter anderem von der Menge an körpereigenen Östrogenen beeinflusst, die zu diesem Zeitpunkt im Körper produziert werden. Körpereigene Östrogene binden sich deutlich stärker an Östrogenrezeptoren als Phytoöstrogene, was zu einer stärkeren östrogenen Wirkung führt.
Bei erhöhtem Östrogenspiegel konkurrieren die Phytoöstrogene mit körpereigenen Östrogenen um die Bindungsstellen der Rezeptoren. Der Östrogeneffekt ist dann zwar vorhanden, aber deutlich schwächer, als wenn körpereigenes Östrogen an die Zelle andockt. Auf diese Weise wird die Wirkung der körpereigenen Östrogene vermindert, was zu einer antiöstrogenen Wirkung führt. Im Gegensatz dazu wirken Phytoöstrogene östrogenartig, wenn der Östrogenspiegel niedrig ist, wie zum Beispiel in den Wechseljahren.
Ob Phytoöstrogene in das Hormonsystem eingreifen, das Brustkrebsrisiko erhöhen und bei Männern zu einer Verweiblichung führen können, ist umstritten. In Studien wurden verschiedene Mechanismen aufgezeigt, durch die z.B. Isoflavone aus Soja vor Krebs schützen können. So kann der Verzehr von Sojaprodukten bestimmte Abwehrzellen, sogenannte zytotoxische T-Zellen, aktivieren. Diese sind in der Lage, Krebszellen zu erkennen und zu zerstören. Phytoöstrogene unterstützen zudem den programmierten Zelltod von Krebszellen, senken das Metastasierungsrisiko und mildern Nebenwirkungen von Bestrahlungen und Chemotherapien.
Es gibt Hinweise dafür, dass Soja nicht nur bei Brustkrebs, sondern auch bei anderen Krebsarten wirksam ist. Zahlreiche Studien im Zusammenhang mit Prostatakrebs zeigen, wie der Verzehr von Soja die Entstehung von Prostatakrebs verhindern und das Fortschreiten von Prostatakrebs hemmen kann. Der regelmässige Verzehr von Sojaprodukten wie Tofu ist für Männer in der Regel unbedenklich und führt nicht zu einer Verweiblichung. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass dies positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Prostata hat.
Die krebsfördernde oder -hemmende Wirkung der Isoflavone hängt stark von ihrer Form ab. In Vollsojaprodukten wie Tofu, Sojamilch oder Tempeh wirken die Isoflavone zusammen mit anderen Pflanzenstoffen mehrfach krebshemmend. Sogar bei östrogenabhängigem Brustkrebs zeigt ein moderater Verzehr solcher Vollsojaprodukte krebshemmende Effekte. Isoflavone als Nahrungsergänzung in hoher Konzentration können jedoch krebsfördernde Gene aktivieren und sind daher mit Vorsicht einzunehmen.
Der Verzehr von phytoöstrogenhaltigen Lebensmitteln kann sich auch bei Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen und Scheidentrockenheit günstig auswirken. Studien mit Frauen zwischen Ende 30 und Mitte 60 haben gezeigt, dass die Einnahme von Isoflavonen aus Soja die Hautelastizität erhöht und die Faltentiefe verringert.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass der tägliche Verzehr von Sojaprotein das als herz- und gefässschädigend geltende LDL-Cholesterin senkt und gleichzeitig das als „gesund“ geltende HDL-Cholesterin erhöht.
In einem vollwertigen Lebensmittel entfalten die Phytoöstrogene ihre volle Wirkung, indem sie sich mit zahlreichen anderen Pflanzenstoffen verbinden. So entsteht eine kraftvolle Synergie, die sich bei verschiedenen Krankheitsbildern als äusserst nützlich erwiesen hat.