Fresssucht

Wenn Sie nicht mehr aufhören können

Plötzlich ist die Chipstüte leer, die Schokolade weg, obwohl man eigentlich gar keinen Hunger hatte. Fresssucht, auch Binge Eating genannt, ist mehr als nur „zu viel essen“ – sie kann zu einem belastenden Kreislauf aus Scham, Kontrollverlust und emotionalem Schmerz führen. Doch was treibt Menschen eigentlich zu zwanghaftem Essen und wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

Was ist eine Binge-Eating-Störung?

Die Binge-Eating-Störung ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die zu den Essstörungen gehört. Sie ist gekennzeichnet durch das wiederholte Auftreten von Episoden, in denen in kurzer Zeit grosse Nahrungsmengen weit über das normale Mass hinaus verzehrt werden. Diese Essanfälle erfolgen meist impulsiv und ohne bewusste Kontrolle des eigenen Verhaltens. Es fehlt die Fähigkeit, das Essverhalten rechtzeitig zu unterbrechen oder zu regulieren.

Der Begriff „Binge“ stammt aus dem Englischen und beschreibt das zwanghafte Konsumieren grosser Mengen – sei es beim Essen, Trinken oder bei anderen Aktivitäten. Bei der Binge-Eating-Störung handelt es sich speziell um das unkontrollierte Verschlingen von Nahrung.

Die Erkrankung verläuft häufig wellenförmig, wobei sich Phasen mit Essanfällen mit symptomfreien Phasen abwechseln können. Obwohl viele Betroffene übergewichtig oder fettleibig sind, kann die Störung auch bei Menschen mit normalem Körpergewicht auftreten. Damit unterscheidet sich die Binge-Eating-Störung deutlich von gelegentlichem Überessen oder Heisshungerattacken, wie sie viele Menschen gelegentlich erleben.

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  • Die Binge-Eating-Störung ist weltweit die häufigste Essstörung, noch vor Bulimie und Anorexie. Etwa 1-3 % der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens daran, bei jungen Erwachsenen sind es bis zu 4 %. Frauen sind etwas häufiger betroffen, aber fast die Hälfte der Betroffenen sind Männer.
  • Besonders häufig sind Menschen mit Adipositas betroffen: 15-30 % von ihnen erfüllen die Kriterien einer Binge-Eating-Störung. Viele Betroffene schämen sich und suchen keine Hilfe, daher ist die Dunkelziffer hoch.
  • Typisch ist ein Beginn im Erwachsenenalter, vor allem im mittleren Lebensalter – im Gegensatz zu Magersucht und Bulimie, die meist im Jugendalter auftreten.
  • Die Heilungschancen sind vergleichsweise gut: 70-80 % der Betroffenen erreichen eine vollständige oder deutliche Besserung, vor allem bei frühzeitiger Behandlung. Zum Vergleich: Bei Magersucht liegt die Rate der vollständigen Heilung bei 50-60 %, bei Bulimie bei etwa 50 %.

Was sind typische Symptome für das Binge-Eating?

Typische Symptome einer Binge-Eating-Störung sind vor allem wiederholte, unkontrollierte Essanfälle. Die Betroffenen essen in kurzer Zeit viel grössere Mengen als gewöhnlich, ohne wirklich hungrig zu sein, und hören erst auf, wenn sie sich unangenehm voll fühlen. Dieses Verhalten findet meist allein und heimlich statt, da sich die Betroffenen oft schämen und vermeiden, vor anderen zu essen. In vielen Fällen gehen die Essanfälle mit einem Kontrollverlust einher, der zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führt.

Ein weiteres häufiges Symptom ist das ständige Kreisen derGedanken um das Essen. Betroffene verbringen viel Zeit mit der Planung von Mahlzeiten oder der Suche nach Rezepten, was ihren Alltag stark beeinflusst. Gleichzeitig kann es ihnen schwerfallen, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ein weiteres typisches Symptom ist der soziale Rückzug: Betroffene meiden oft gesellschaftliche Anlässe, um nicht in Situationen zu geraten, in denen sie das Gefühl haben, ihr Ernährungsverhalten nicht kontrollieren zu können.

Nach Essanfällen treten häufig Schuld- und Schamgefühle auf. Die Betroffenen fühlen sich manchmal schlecht wegen des Essens und erleben negative Emotionen wie Ekel oder Reue. Auch körperliche Symptome wie Blähungen oder Magenschmerzen können auftreten. In vielen Fällen führt die wiederholte unkontrollierte Nahrungsaufnahme zu einer Gewichtszunahme, die wiederum das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen kann.

Die Binge-Eating-Störung geht häufig mit anderen psychischen Störungen wie Depressionen oder Angstzuständen einher. Diese können die Symptome verstärken und einen Teufelskreis in Gang setzen, in dem unkontrolliertes Essen als Bewältigungsmechanismus eingesetzt wird. Die Binge-Eating-Störung kann sowohl bei normalgewichtigen als auch bei übergewichtigen Menschen auftreten, was sie zu einer komplexen und schwer zu diagnostizierenden Erkrankung macht.

Wie oft erleben Sie zurzeit Fresssucht (Binge-Eating-Störung)?

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Wie entsteht die Binge-Eating-Störung?

Die Entstehung einer Binge-Eating-Störung wird durch eine Kombination von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren begünstigt. Genetische Veranlagungen spielen eine wichtige Rolle, da sie die Funktion von Botenstoffen im Gehirn beeinflussen können, die für die Regulation von Hunger und Essverhalten verantwortlich sind. Darüber hinaus prägen familiäre Vorbilder und frühkindliche Erfahrungen das Essverhalten: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem Diäten oder Gewicht überbetont werden, entwickeln häufiger ein gestörtes Verhältnis zum Essen.

Auch psychische Faktoren wie ein geringes Selbstwertgefühl und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper tragen dazu bei. Diese negativen Wahrnehmungen werden häufig durch gesellschaftliche Schönheitsideale verstärkt, die vor allem über Medien und soziale Netzwerke vermittelt werden. Der Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Körperbild kann zu einer Entwicklung führen, die das Risiko für Essstörungen verstärkt.

Darüber hinaus können belastende Lebensereignisse wie Verlust, Stress oder zwischenmenschliche Konflikte das emotionale Gleichgewicht stören. In solchen Momenten kann Essen als eine Art Bewältigungsstrategie dienen, um unangenehme Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst zu betäuben. Auf diese Weise wird Essen zu einer emotionalen Reaktion, die kurzfristig Erleichterung verschafft, langfristig aber das Problemverhalten verstärken kann.

Was unterscheidet Binge Eating von Bulimia Nervosa?

Sowohl Binge Eating als auch Bulimia Nervosa zählen zu den ernstzunehmenden Essstörungen, unterscheiden sich jedoch grundlegend im Umgang mit den Essanfällen und deren Folgen. Während beim Binge Eating grosse Nahrungsmengen in kurzer Zeit aufgenommen werden, unterbleiben danach Massnahmen zur Gewichtsregulation. Im Gegensatz dazu steht bei der Bulimie der Drang im Vordergrund, die aufgenommene Energie möglichst schnell wieder loszuwerden – zum Beispiel durch Erbrechen, Abführmittel oder exzessiven Sport.

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist das äussere Erscheinungsbild: Menschen mit Bulimie behalten meist ihr Normalgewicht, was die Erkrankung oft schwer erkennbar macht. Bei Menschen mit einer Binge-Eating-Störung ist Übergewicht dagegen ein häufiges Begleitsymptom.

Auch das emotionale Erleben unterscheidet sich: beide Gruppen empfinden nach Essanfällen häufig Scham oder Ekel, bei der Ess-Brech-Sucht ist das Verhalten jedoch stärker vom Wunsch nach Gewichtskontrolle bestimmt. Zudem geht Bulimie häufig mit einem ausgeprägten Perfektionismus einher, während Binge Eating meist durch eine gestörte Selbstwahrnehmung von Hunger und Sättigung sowie durch emotionale Belastung gekennzeichnet ist.

Was sind Folgen von Binge Eating?

Die Binge-Eating-Störung kann vielfältige und schwerwiegende psychische und soziale Folgen haben. Eine der auffälligsten Folgen ist eine erhebliche Gewichtszunahme, die in vielen Fällen zu starkem Übergewicht oder Adipositas führt. Dieses erhöhte Körpergewicht birgt zahlreiche gesundheitliche Risiken, vor allem für das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel und das Muskel-Skelett-System. Blutdruck, Blutfettwerte und Gelenke sind häufig betroffen, was langfristig zu chronischen Beschwerden führen kann.

Neben den körperlichen Auswirkungen ist auch die psychische Belastung enorm. Viele Betroffene fühlen sich sehr beschämt für ihr Essverhalten, was nicht selten zu sozialem Rückzug und Isolation führt. Häufig treten zusätzlich psychische Krankheiten wie Depressionen oder Angsterkrankungen auf, die sich mit der Essstörung wechselseitig verstärken können. Dies kann dazu führen, dass die Betroffenen in einen belastenden Kreislauf aus Essanfällen, Selbstvorwürfen und emotionalem Rückzug geraten.

Die Folgen können sich auch auf materieller Ebene bemerkbar machen. Der regelmässige Einkauf grosser Mengen an Lebensmitteln kann langfristig zu finanziellen Problemen führen. Darüber hinaus ist das allgemeine Sterberisiko bei Menschen mit einer Binge-Eating-Störung erhöht – insbesondere dann, wenn zusätzliche psychische Erkrankungen vorliegen, da diese das Risiko für suizidale Gedanken und Handlungen erhöhen können.

Was bei Binge-Eating hilft: nützliche Tipps

  • Vermeiden Sie das Auslassen von Mahlzeiten. Drei Hauptmahlzeiten und 2-3 gesunde Zwischenmahlzeiten pro Tag stabilisieren den Blutzuckerspiegel und beugen Heisshungerattacken vor. Planen Sie im Voraus, um ungesunde Essgewohnheiten zu vermeiden.
  • Greifen Sie bei Heisshunger auf gesunde Zwischenmahlzeiten wie rohes Gemüse oder Früchte zurück. Diese sind kalorienärmer und sättigen besser, da der Kiefer beim Kauen aktiv wird, was das Sättigungsgefühl fördert.
  • Essen Sie ohne Ablenkungen wie Fernsehen oder Handy. Wenn Sie bewusst essen, können Sie besser erkennen, wann Sie satt sind, und vermeiden es, zu viel zu essen.
  • Manchmal verwechselt man Hunger mit Durst. Wenn Sie Heisshunger verspüren, trinken Sie zuerst ein Glas Wasser oder ungesüssten Tee. Ein voller Magen kann den Appetit zügeln.
  • Oft entsteht Appetit nicht durch körperlichen Hunger, sondern durch Langeweile oder äussere Reize. Versuchen Sie, sich abzulenken – mit einem kurzen Spaziergang, einem Telefonat oder einer anderen Tätigkeit.
  • Finden Sie heraus, welche Aktivitäten Sie in einen Flow-Zustand versetzen, in dem Sie alles um sich herum vergessen, z. B. kreatives Arbeiten oder intensive Bewegung. Das kann Sie vom Essen ablenken.
  • Putzen Sie sich nach dem Essen die Zähne. Zahnpasta, besonders mit Pfefferminzgeschmack, kann den Appetit zügeln. Sie hilft, den Heisshunger auf Süsses zu reduzieren, da man nach dem Zähneputzen keine Lust mehr hat, erneut zu essen und die Zähne zu putzen.
  • Ausreichend Schlaf ist entscheidend für die Regulierung des Appetits. Schlafmangel kann das Hungergefühl verstärken und den Appetit auf Süsses oder Ungesundes erhöhen.
  • Machen Sie eine Liste, wo Sie Pro und Contra Ihres neuen Essverhaltens aufschreiben. Schauen Sie regelmässig auf diese Liste, um Ihre Motivation zu steigern und sich selbst daran zu erinnern, warum Sie das machen. Das hilft, Essanfällen vorzubeugen. 
  • Führen Sie ein Ernährungstagebuch. Notieren Sie, wann und warum Essanfälle auftreten. So können Sie Muster und emotionale Auslöser, die zu Heisshungerattacken führen, erkennen und entsprechend reagieren.
  • Sprechen Sie mit Freunden, Familienmitgliedern oder einem Therapeuten über Ihre Probleme. Unterstützung hilft, langfristig gesunde Essgewohnheiten zu entwickeln und Essanfälle zu kontrollieren.

Binge Eating ist eine komplexe Erkrankung, die nicht nur das Essverhalten, sondern auch das emotionale Wohlbefinden betrifft. Eine umfassende Therapie kann helfen, die Ursachen anzugehen und den Weg in ein gesundes Leben zu ebnen.

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